Einige Berufe werden als Frauenberuf oder als Männerberuf bezeichnet. DIE Erzieherin und DER Mechaniker – bei vielen Berufsfeldern haben wir unsere feste Meinung dazu, welches Geschlecht da hingehört. Aber was können wir gegen unsere Vorurteile machen? Wir zeigen euch in einem Interview mit der Pressesprecherin vom Hamburger Netzwerk ‚MEHR Männer in Kitas‘, warum Genderklischees häufig vollkommen überholt sind und wie du Berufsbilder aus einem neuen Blickwinkel heraus betrachten kannst.
Viele Dinge haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert: Frauen entschließen sich zu einer Karriere bei der Bundeswehr, auch Männern wird eine Elternzeit gestattet und aus DEM Vorgesetzten wird an so mancher Stelle DIE Vorgesetzte.
Doch in vielen Branchen dominieren noch immer geschlechtliche Stereotypen: an den naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten werden Frauen nach wie vor verwundert beäugt und im geisteswissenschaftlichen Bereich findet man nur vereinzelt Männer in den Rängen der Hörsäle.
So ziehen sich unsere Genderklischees vom Wunsch im Kindesalter, Feuerwehrmann oder Prinzessin zu werden, bis hin zu dem Beruf, den wir später einmal erlernen. DIE Mechanikerin und DEN Erzieher trifft man im Berufsleben eher selten an.
Jungen wird vorgegeben, was männlich ist – und das befolgen sie in der Regel. Ob wegen dem eigenen Ansehen im Freundeskreis, den Erwartungen des Vaters und der Gesellschaft oder einfach, weil es als Option gar nicht aufgezeigt wird – nur wenige junge Männer entschließen sich nach dem Schulabschluss dazu, einen „Frauenberuf“, wie den Beruf des Erziehers zu ergreifen. Warum das so ist und wie man das ändern kann, dazu haben wir Cornelia Heider-Winter, Pressesprecherin des Hamburger Netzwerks ‚MEHR Männer in Kitas‘ beim PARITÄTISCHEN Hamburg befragt.
Wie genau sieht eine Ausbildung zum Erzieher aus?
Die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher ist bundesweit nicht einheitlich geregelt, da es eine fachschulische und keine duale Ausbildung ist. In der Regel ist der Realschulabschluss die Mindestvoraussetzung für die Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistenz (SPA). In anderen Bundesländern nennt sich der Abschluss auch Kinderpfleger. Diese zweijährige Erstausbildung ist vom Abschluss her mit anderen dualen Ausbildungen vergleichbar.
Die eigentliche Erzieherausbildung ist auf Meister-Niveau und erfordert eine abgeschlossene Berufsausbildung. Je nach Bundesland gibt es für Abiturienten andere Regelungen. In Hamburg beispielsweise ist nach dem Abi noch ein FSJ oder BFD als Zulassungsvoraussetzung notwendig. Die Erzieherausbildung dauert meist drei Jahre. In Hamburg ist es möglich, mit befriedigendem SPA-Abschluss auf zwei Jahre zu verkürzen. Auch bei der Form der Ausbildung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Normalerweise ist sie vollschulisch mit Praxisphasen in der Kita angelegt. Es gibt aber schon zahlreiche berufsbegleitende Modelle, sodass man während dieser Zeit beispielsweise in einer Kita angestellt ist und ein Gehalt verdient.
Welche Verdienstmöglichkeiten hat ein männlicher Erzieher in so einem „Frauenberuf“?
Viele kommunalen Kindertagesstätten orientieren sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Nach der Entgelttabelle für den „Sozial- und Erziehungsdienst“ kommen eine Erzieherin und ein Erzieher in Vollzeit als Berufsanfänger auf ein Monatsgehalt von rund 2.220 Euro brutto. Netto sind das, wenn man ledig, nicht in der Kirche ist und kein Kind hat, ca. 1.490 Euro. Nach einem Jahr rutscht man in die nächsthöhere Gehaltsstufe und bekommt 2.440 Euro brutto. In den folgenden Jahren kann man bis zur sechsten Stufe aufsteigen und derzeit 3.120 Euro brutto verdienen (Quelle: TVöD für den Sozial- und Erziehungsdienst, Gültigkeit: 01.08.2013 bis 28.02.2014).
Warum werden aus menschlicher Sicht mehr Männer in Kitas gebraucht?
Warum ist es für die Entwicklung von Kindern wichtig, auch von Männern betreut zu werden?
Unsere Gesellschaft ist bunt und abwechslungsreich: Kitas sollten so vielfältig sein wie die Lebenswelten der Kinder. Dafür brauchen Kinder Frauen UND Männer zur Begleitung in den Lebensstart. Schließlich ist das Zusammenleben der Geschlechter und Kulturen komplex. Für Kinder ist es besonders wichtig, schon frühzeitig die Vielfalt der Gesellschaft und ihr Zusammenleben kennenzulernen, am besten in der Kita und mit männlichen Bezugspersonen.
Zudem hat seit August dieses Jahres jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen rechtlichen Anspruch auf einen Platz in einer Kita. Aber schon jetzt gibt es nicht genug Erzieherinnen, geschweige denn Erzieher. Wir können es uns nicht leisten, bei der Suche nach qualifizierten Fachkräften auf die Hälfte der Bevölkerung zu verzichten.
Warum ist der Beruf des Erziehers für junge Männer interessant?
Wir haben vor dem Start unserer Kampagne „Vielfalt, MANN! Dein Talent für Hamburger Kitas“ in Gruppendiskussionen mit Schülerinnen, Schülern, Erziehern und Erzieherinnen zentrale Motivationen zur Berufswahl erörtert. Dabei wurde deutlich, dass eine hohe Orientierungslosigkeit herrscht, die Entscheidungen häufig zufällig gefällt werden und deutlich vom Bekannten- oder Freundeskreis geprägt sind. Die Berufe des besten Freundes oder des Vaters werden als Vorbilder genommen. Demgegenüber zeigte sich bei Erziehern, dass sie oft erst auf dem zweiten Bildungsweg in den Beruf finden. Obwohl der Erzieherberuf aufgrund von Praktikumserfahrungen schon frühzeitig als Option infrage kam, entschieden sie sich zunächst für so genannte männlich konnotierte Ausbildungsberufe.
Weiterhin haben wir gegenübergestellt, was Berufserfahrene an ihrer Arbeit in einer Kita reizt und was sich junge Männer von ihrem Beruf wünschen. Die Parallelen? Spaß, Abwechslung, Freiräume in der Alltagsgestaltung und Arbeit an unterschiedlichen Orten nehmen sowohl als Berufsanforderungen als auch als Motive für den Beruf zentrale Rollen ein. Männer können als Erzieher in einer Kindertagesstätte ihre vielfältigen Talente und Persönlichkeiten in den Beruf einbringen und schlüpfen dabei immer wieder in unterschiedliche Rollen und nehmen unterschiedliche Perspektiven wahr. Also, Vielfalt, MANN! Dabei erfüllen sie einen Bildungsauftrag und wirken als Wegbereiter für die Zukunft – unsere Kinder. Die Arbeit erfüllt also eine wichtige gesellschaftliche Funktion und viele Männer, gerade die Quereinsteiger, sind heutzutage auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit.
Wie kann das Image des Erziehers aufgebrochen werden, sodass er nicht als unmännlich etc. gilt? Wie kann das Bewusstsein hierfür in der Gesellschaft verändert werden?
Wir haben mit „Vielfalt, MANN!“ echte Erzieher in den Fokus gerückt und damit gezeigt, welche Männer jetzt schon in der Kita arbeiten. Nicht nur wir, sondern auch die Öffentlichkeit haben dabei festgestellt, dass es nicht DEN typischen Erzieher gibt. All unsere „Vielfalt, MANN!“-Gesichter haben unterschiedliche Hintergründe, Talente und Zugangswege in den Beruf. Damit haben wir sehr viele bestehende Vorurteile auf authentische Art entkräftet. Zudem ziehen viele junge Männer in der Berufsorientierung den Erzieherberuf nicht in Betracht, weil sie gar nicht auf die Idee kämen, dass das etwas für sie sein könnte. Er taucht in ihrem Spektrum der möglichen Berufe nicht auf. Durch unsere breite Öffentlichkeitsarbeit haben wir dieses Spektrum erfolgreich erweitert. Meist sind die jüngeren Menschen in ihrem Denken weniger traditionsreich veranlagt als ihre Eltern, die dann vielleicht empfehlen: „Junge, mach doch lieber mal was Anständiges für Männer.“
Was für Vorteile und Möglichkeiten ergeben sich für junge Männer durch die Arbeit mit Kindern?
Das ist natürlich ganz individuell und davon abhängig, welche persönliche Lebensplanung und Motivationen man hat. Im Kita-Bereich ist es beispielsweise wie in kaum einem anderen Beruf möglich, seine individuellen Talente zur Bildung der folgenden Generation zu nutzen. Da es in der frühkindlichen Bildung auch viele Fortbildungsangebote gibt, kann man diese Talente sogar zur Spezialisierung weiterentwickeln und sich dadurch ein individuelles Profil verschaffen, um auf dem Arbeitsmarkt bessere Bedingungen zu verhandeln. Familienfreundlichkeit steht in Kitas ebenfalls sehr hoch im Kurs. Männern wird es somit erleichtert, auch Teilzeitpositionen anzunehmen, um ihre Vaterrolle präsenter wahrzunehmen.
Wie kann die Arbeit mit Kindern die persönliche Entwicklung positiv beeinflussen?
Wir haben von Männern immer wieder gehört, dass sie die unverstellte Art von Kindern schätzen. Sie sagen dir unverblümt, was sie denken. Das ist eine Eigenschaft, die man unter Erwachsenen eher selten findet. Damit ergeben sich bei der Arbeit mit Kindern immer wieder neue Perspektiven für das eigene Leben. Beispielsweise auch, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge zu erklären. Kinder haben natürlich nicht die gleiche Auffassungsgabe wie Erwachsene, aber sie sind dennoch sehr wissbegierig. Aber wie erklärt man ihnen Dinge, die für die „Großen“ selbstverständlich sind? Meist ist das Einfache schwerer in Worte zu fassen als das Komplizierte. Und häufig verändert das noch einmal den Blick auf bestimmte Situationen.
Erzieher sind darüber hinaus dazu angehalten, ihr Verhalten und ihre Sichtweisen im Berufsleben stets zu reflektieren, was sehr wertvoll für die eigene Persönlichkeitsentwicklung ist. Denn nicht zuletzt nehmen Erzieherinnen und Erzieher eine Vorbildfunktion für Mädchen und Jungen ein. Dabei stellt sich für die Fachkräfte gewiss die Frage: Welche Rollenbilder will und sollte ich vermitteln?
Welche Fähigkeiten und Talente sollte ein Erzieher mitbringen?
Als Erzieher ist ein hohes Einfühlungsvermögen geboten und die Fähigkeit, seine eigenen Handlungen reflektieren zu können. Da der Beruf besonders in der Kita mit einem Bildungsauftrag verknüpft ist, sind gute sprachliche Kompetenzen und befriedigende schulische Leistungen gefordert. Während der Ausbildung spielen alle Unterrichtsfächer, also auch Mathematik, eine Rolle. Häufig ist uns die Vorstellung begegnet, man müsse als Erzieher nur gut mit Menschen und Kindern umgehen können. Das ist eine notwendige Voraussetzung, reicht aber bei weitem nicht aus. Und angesichts dessen, dass immer mehr Anforderungen an Kitas gestellt werden, wie etwa die Hamburger Bildungsempfehlungen, wird deutlich, dass die Öffentlichkeit den Beruf in seinem Anforderungsprofil meist völlig unterschätzt.