„Oh Gott, der Arme! So könnte ich nicht leben!“ Oft schießt einem vermeintlich „gesunden“ Menschen ohne Behinderung dieser Gedanke durch den Kopf, sobald er auf einen Menschen mit einer körperlichen Behinderung oder kognitiver Einschränkung trifft. Doch genau dieser Gedanke ist falsch.
Als eine Behinderung wird eine beständige, gravierende physische und/oder psychische Beeinträchtigung bezeichnet, die es der betreffenden Person unmöglich macht, in dem vollen Umfang an dem Alltag der Gesellschaft teilzuhaben. Zu finden ist diese Definition u. a. auf einer der Ratgeberseiten für Menschen, die mit einer Behinderung leben.
Eine weitere Definition findet sich in dem Text des Sozialgesetzbuches. Dieser Text definiert nicht nur, ab wann der körperliche oder geistige Zustand eines Menschen als Behinderung definiert wird, sondern u. a. ab welchem Grad der Behinderung betreffende Personen wie gleichzustellen sind. Mehr dazu könnt ihr auf Leidmedien erfahren.
Es gibt jedoch noch unendlich viele weitere Möglichkeiten der Definition.
Bedenken wir noch einmal die erste Aussage in diesem Beitrag:
Fragen wir uns einmal: Wer glaubt jemand zu sein, wenn er darüber urteilt, ob ein Mensch mit einer Behinderung „arm dran“ ist? Denn dieser Mensch, der in diesem Moment so abgestempelt wird, sammelt in seinem Leben ebenso Erfahrungen, wie die urteilende Person. Er wird ebenso ein soziales Umfeld, eine Familie, Gedanken, Emotionen, Fähigkeiten sowie seinen persönlichen Lebensweg haben.
Daher ist der erste Appell in diesem Artikel, Vorurteile abzulegen.
Um es der Gesellschaft einfacher zu machen, diese Vorurteile abzubauen, lautet bereits eines der ausschlaggebenden Stichworte in Deutschland 2014 Inklusion. Das heißt, dass in diesem Jahr Kindern mit einer Behinderung noch eher die Möglichkeit gegeben werden soll, Regelschulen zu besuchen.
Wenn es bereits in der Grundschule funktioniert, warum dann nicht im Arbeitsleben?
2004 startete die Initiative Jobs ohne Barrieren des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Der Sinn und Zweck dieses Unterfangens ist es, dass sich Arbeitgeber bei sogenannten Integrationsämtern sowie bei entsprechenden Fachdiensten informieren, um behinderte Menschen einstellen zu können.
Der weitere Vorteil für die Arbeitnehmer: Das Einrichten barrierefreier Arbeitsplätze wird prämiert.
An dieser Stelle sollte noch einmal betont werden, dass dies zwar bereits ein Fortschritt ist, Inklusion jedoch das eigentliche Ziel für die Arbeitgeber sein sollte.
Unser zweiter Appell lautet: Hemmungen überwinden.
Dieser richtet sich nicht nur an Arbeitgeber, sondern ebenfalls an Menschen mit Behinderung.
Für Arbeitgeber:
Welche Befürchtungen ergeben sich, wenn daran gedacht wird, eine Person mit einer Behinderung einzustellen? Der Mitarbeiter kann keine konsequenten 110% liefern? Die Arbeit könnte zu langsam erledigt werden? Der Arbeitnehmer könnte zu oft krank sein? Andere Mitarbeiter könnten Berührungsängste haben?
Chefs vergessen in einer Zeit, die auf 1000%ige Leistung in einer Akkordarbeit abzielt, gerne einmal den Menschen hinter der Arbeit. Ebenso sind sie häufig geprägt von dem Gedanken, dass ein Mensch mit einer Behinderung nicht dem Arbeitspensum gerecht wird und somit mehr Kosten als Nutzen für den Betrieb verursacht. Ein weiteres Vorurteil, welches Personalern in den Sinn kommt, ist das des gesonderten Kündigungsschutzes.
Wer den Blick über den Tellerrand wagt, …
… wird feststellen, dass das absoluter Humbug ist. Insofern ein Mensch, der eine Behinderung hat, seinen Fähigkeiten entsprechend in einem Konzern eingesetzt wird, ist er ebenso effektiv und effizient, wie jeder andere Arbeitnehmer auch.
Ein Beispiel: Ein Mensch mit Autismus kann die Gabe haben, in bestimmten Feldern besonders logisch, effizient und taktisch zu denken. Genau diese Felder gilt es zu entdecken und die Person gezielt dort einzusetzen.
Wenn dem Unternehmer diese Argumentation noch nicht ausreichend ist:
Die Beschäftigung von einem Menschen mit Behinderung hat ebenso für das Image einer Firma positive Auswirkungen:
- Das Unternehmen gewinnt an qualifizierten, motivierten, engagierten und Mitarbeitern
- Ebenso gewinnt das Unternehmen eine neue Perspektive auf bestehende Prozesse innerhalb des Betriebes
- Die Firma zeigt soziales Engagement und nimmt ihren gesellschaftspolitischen Auftrag ernst
- Dieses führt ebenfalls zu einer gesteigerten positiven Wahrnehmung in der Öffentlichkeit
- Abbau von Hemmschwellen sowie die Erweiterung sozialer Kompetenzen bei den Mitarbeitern
- Finanzielle Förderung für die Einrichtung eines barrierefreien Arbeitsplatzes
Kleine Information am Rande:
Abgesehen von der finanziellen Unterstützung, werden Unternehmen für die Einrichtung eines barrierefreien Arbeitsplatzes Experten zur Seite gestellt. Überdies hinaus wird derzeit am Center for Disability and Integration (CDI) in St. Gallen nach Möglichkeiten und Modellen geforscht, die eine optimale Zusammenarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderung erlauben sollen.
Weitere Informationen dazu sind u. a. in diesen beiden Interviews zu finden:
Aktion Mensch; Center for Disability and Integration
Für Arbeitnehmer:
An dieser Stelle soll einmal abgesehen werden von den Beantragungen, Vergütungen, Regelungen usw., welche gesondert eingereicht werden können.
Mit einer Behinderung, geistiger oder körperlicher Natur, kann es verschiedene Aufgaben geben, die nicht so einfach oder auch gar nicht bewältigt werden können. Dafür gibt es wiederum andere Tätigkeitsfelder, die ebenso wie bei einem Menschen ohne Behinderung ausgeführt werden können, teilweise sogar besser.
Ein Beispiel: Menschen mit Trisomie 21 sind oft sozial eingestellt und können dennoch im Gastronomiebereich freundlich bedienen.
Daher ist es wichtig:
Es sind vermutlich Einschränkungen in den Fähigkeiten bei einem Menschen mit Behinderung vorhanden. Diese Einschränkungen können nicht unbedingt komplett ausgeblendet werden. Allerdings ist es noch verkehrter, sich auf sie zu konzentrieren. Es gilt, sich auf die Stärken zu fokussieren!
Das heißt ebenfalls, dass der Traumberuf nicht direkt an den Nagel gehangen werden sollte!
Wenn aufgrund der gegebenen Behinderung nicht die Möglichkeit besteht, die vorgeschriebene Ausbildung in vollem Umfang zu absolvieren, ist es ratsam zunächst zu schauen, welche Hilfsmittel die Ausbildung ermöglichen.
Folgendes zum Bereich Ausbildung ist ebenfalls interessant zu wissen:
- Es gibt extra Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderung
- Während der Ausbildung ist weder der Betrieb noch der Auszubildende zwangsläufig auf sich allein gestellt, sondern kann betreuende Unterstützung erhalten
- Unter dem Motto „differenzierte, maßgeschneiderte Qualifizierung der Mitarbeiter“ werden nicht nur die 3-jährige Ausbildung, sondern ebenfalls weitere Varianten angeboten
Überdies sollte der Gedanke, hinterher „nur“ in einer der bundesweit 700 anerkannten Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu arbeiten, beiseite geschoben werden. Neben der unterstützten Ausbildung ist folgend eine unterstütze Beschäftigung in einem sogenannten Integrationsbetrieb möglich. Integrationsbetrieb bedeutet, dass in diesem Betrieb mindestens 25% – 50% der Mitarbeiter eine Behinderung haben. Abhängig ist dieser Prozentsatz von der gesamten Mitarbeiterzahl.
Es zeigt sich folglich, …
… dass es sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Menschen mit einer Behinderung diverse Möglichkeiten gibt. Wichtig ist letztlich die zielgerichtete Beratung für beide Parteien, die Fokussierung auf die Stärken und nicht auf die Schwächen der Mitarbeiter sowie das Abbauen von Hemmschwellen.