Oftmals heißt es in Beiträgen, dass Bewerber um eine Anstellung kämpfen müssen. Doch spätestens, seit die Arbeitgeber des Jahres gekürt werden, ist klar, dass Unternehmen ebenfalls um die Gunst der Mitarbeiter ringen müssen.
Daher stellt sich für dich als Unternehmer die entscheidende Frage:
Wie kannst du Bewerber für dein Unternehmen begeistern?
Vor allem: Auf welche Werte haben Bewerber ihren Fokus gerichtet? Du kannst als Unternehmer eine besonders nachhaltige, ökologische Unternehmenspolitik anstreben, dich viel um deine Mitarbeiter kümmern, besondere Angebote machen und spezielle Vergütungen anbieten und, und, und, um deine Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Doch bei dem Clash von verschiedenen Mitarbeiter– sowie Bewerbergenerationen – bedenke bloß den Wirbel um die
Bewerbergewinnung? Hab ich nicht nötig!
Bist du dir da sicher? In den kommenden Jahren wird allein schon der demographische Wandel dafür Sorge tragen, dass sich der heute herrschende „War of Talents“ der Betriebe untereinander noch weiter verschärfen wird. Hinzu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge sich immer mehr dem Rentenalter nähern und dir nichts anderes bleibt, als um Bewerber – egal welchen Alters – zu „kämpfen“.
Was du bei deiner Unternehmensführung für die Gewinnung von Bewerbern beachten solltest, dass verrät uns Stephan Stockhausen von der Manufaktur für Wachstum!
KG: Herr Stockhausen, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen! Sie haben Ihre berufliche Karriere als Beamter angefangen und sich dann bewusst dafür entschieden, als Coach andere Unternehmen zu unterstützen. Was ist Ihnen im Hinblick auf die Haltung gegenüber Bewerbern bislang dabei aufgefallen?
St.S.: Dazu gibt es selbstverständlich nicht das EINE Bild. Es gibt zugleich auch am Bewerbermarkt die gleiche Logik wie am Kundenmarkt: ICH will, ICH biete, ICH bin … Kunden kaufen jedoch primär einen Nutzen und so ist es auch bei Bewerbern. Hochausgebildete, begehrte Kräfte wissen um ihren Marktwert und schauen genau, was ihnen ein Wechsel oder ein Einstieg bringen kann. Sie sind keine Bittsteller, sondern Partner auf Augenhöhe.
Wer ihnen so begegnet, redet weniger über sein Angebot, sondern fragt vielmehr, was der Kunde will. Oftmals wäre es charmanter, statt fertiger Lösungen zu beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Leistungsanreizen mit einem Bewerber dazu in den Dialog zu gehen, hinzuhören, individuelle, passgenaue Lösungen zu kreieren. Ich wäre möglicherweise noch immer Beamter, wenn sich seinerzeit mal ein Vorgesetzter die Mühe gemacht hätte, mit mir über meine Bedürfnisse als Potenzialträger zu sprechen …
KG: Was denken Sie sind die größten Fehler, welche Unternehmen in ihrer Haltung, beziehungsweise in ihrer Kommunikation nach außen, bei der Bewerbergewinnung machen?
St.S.: Schaumschlägerei wird im Grunde schnell durchschaut. Wer keine Ecken und Kanten hat, macht sich verdächtig. Oftmals sind die Bilder zu glatt, zu „Tschakka-artig“. Ehrlich über sich zu sprechen, Stärken und auch offene Flanken einzuräumen, die man ja vielleicht genau mit dem neuen Menschen an Bord angehen will, wäre nicht nur sympathischer, sondern auch reizvoller.
Generell wiederholen Unternehmen am Bewerbermarkt wie schon erwähnt die Fehler im Kundenmarkt: Sie sprechen zu wenig über den Sinn und Nutzen ihres Tuns. Was habe ich davon, bei genau dieser Organisation engagiert zu sein?
Engagierte Akteure wünschen sich alle Unternehmen. „To engage“ heißt übersetzt übrigens „sich verloben“. Wer aber von Beschäftigten, Arbeitnehmern oder Humankapital spricht, der spricht von Objekten. Verloben werden sich am Ende aber Subjekte. Es ist emotional ein riesen Unterschied, ob ich Menschen wie Objekte oder wie Subjekte behandle. Die Gehirnforschung liefert ausreichende Informationen dazu.
Aus der Forschung über das Gehirn weiß man inzwischen eben auch, dass das gesamte Konzept des Homo Oeconomicus, also des rein rational und auf Eigennutzen hin entscheidenden Menschen praktisch nichts mit der eigentlichen Natur des Menschen zu tun hat. Nur weil viele daran glauben und das gesamte Wirtschaftssystem darauf aufgebaut haben, wird es nicht richtiger.
Der Begriff „Karriere“ durchläuft derzeit einen dazu passenden Wertewandel. Es wird in Zukunft statt des Höher und Mehr viel stärker darum gehen, welche inhaltliche Verantwortung übertragen wird. Karriere kommt im Wortsinn ja von „Fahrstraße“ und damit reden Menschen mit ihren Vorgesetzten auch zunehmend über den Weg, den sie beruflich gehen, wie es ihnen dabei ergeht und wohin sie wollen. Und das ist nicht mehr zwingend regelmäßig in der Hierarchie weiter nach oben zu steigen und sich von dem zu entfernen, was die intrinsische Motivation bedient.
Motivation ist wieder etwas hochgradig emotionales, das aus dem Herzen, respektive den emotionalen Belohnungssystemen unseres Gehirns gespeist wird. Die entsteht nicht im Kopf und kann auch nicht erzeugt werden. Die ist entweder da, wird gehegt und gepflegt oder sukzessive zerstört. Wohin das führen kann, sieht man exemplarisch in den pflegenden bzw. sozialen Berufen, in denen praktisch Vollbeschäftigung herrscht.
Wer sich also wirklich am Bewerbermarkt abheben will, braucht im Kern kein toll durchdachtes Programm, sondern v. a. erst einmal echte Emotionen bei echten Akteuren des Unternehmens. Das steckt auch nach außen an.
KG: Unter anderem bietet die Manufaktur für Wachstum das Coaching von Führungskräften an. Inwiefern ist Bewerbergewinnung ein Teil davon?
St.S.: Am Ende gilt in der Praxis noch immer, dass Menschen sich für eine Organisation, eine Marke entscheiden und wenn sie gehen, ihre Führung verlassen. Jede Führungskraft ist ein unmittelbarer Einflussfaktor auf menschliches Verhalten und Wohlbefinden. Und zwar einer, der täglich erlebt wird. Das unterscheidet diesen Faktor beispielsweise von Gratifikationen, Firmenevents, Sondervergünstigungen. Diese wirken nur punktuell und Menschen gewöhnen sich rasch daran.
Wie mir tagtäglich begegnet wird, welche Autonomie und Verantwortung ich leben darf, welcher Sinn, welche Prioritäten mir vermittelt werden, mit wem ich wie zusammenarbeiten darf und welche Regeln dabei herrschen etc. – all das wirkt jeden Moment auf unser Gefühlsleben, denn unser Gehirn ist ein hochgradig soziales Organ.
Wer sich Arbeitgeberbewertungsportale anschaut, findet als roten Faden positiv wie negativ in erster Linie Rückmeldungen zum Führungsverhalten der direkten Vorgesetzten und/oder der Firmenspitze (insbesondere dann, wenn deren Worte und tatsächlichen Taten nicht zueinander passen). Wenn wir im Freundeskreis über Arbeit sprechen, ist seltener das betriebliche Gesundheitsangebot als das Verhalten des Chefs Thema.
KG: Sind sich die Führungskräfte überhaupt der Notwendigkeit, auch langfristig für Bewerber attraktiv zu sein, bewusst?
St.S.:Das kommt drauf an. Manche Führungskräfte spüren schon sehr den Druck, entweder Stellen kaum besetzt zu bekommen oder sich aktiv um guten Nachwuchs kümmern zu müssen. Andere haben diese Sorgen eher an die Personalabteilungen delegiert.
Was aber nicht vergessen werden darf: Mittlerweile haben Führungskräfte zugleich in agilen und komplexen Situationen mit früher ungeahntem Tempo Entscheidungen zu treffen, Konflikte zu lösen, Lösungen zu denken. Die meisten bewegen sich bereits unter fachlichem Dauerstress und sollten dazu noch gute Leader sein. Da wird auf Führung ein Bild der eierlegenden Wollmilchsau projiziert, dem die meisten schon aufgrund des fehlenden Ausbildungshintergrundes in Psychologie kaum nachkommen können.
Führung sollte sich daher im Kern um die Bedeutung jeder zwischenmenschlichen Interaktion bewusst sein, ohne dabei auch gleich an die langfristige Arbeitgeberattraktivität denken zu müssen. Die darf dann gerne Nebenprodukt guter Führungsarbeit sein.
KG: Welche Möglichkeiten haben Führungskräfte überhaupt, um aktiv zu werden?
St.S.: Wie gerade gesagt: gute Führungsarbeit leisten. Das ist schon Anspruch genug, wenn man ihn ernst nimmt.Neben der bereits genannten Verantwortung für die Ermöglichung und Steuerung von Verhalten und Kooperation rückt die Entwicklung von Potenzialen viel näher an die Rolle Führung heran. Das wird zukünftig seltener an klassische Personalentwicklungen zu delegieren, sondern selbstverständlicher Auftrag von Leadern sein. In vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen ist das übrigens schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Mit Blick auf die Verantwortung, an Kultur zur Erfüllung eines Unternehmenszweck gestalterisch mitzuwirken, heißt es also für Führung: Bewusstsein und Fokus auf diesen Zweck schaffen, daran teilhaben lassen und Auseinandersetzung fördern, Verantwortung zur Mitwirkung übertragen und danach Verhalten steuern.
KG: Ein wichtiger Ansatz bei der Manufaktur für Wachstum ist, Emotionen mit bei der Arbeit einzubeziehen und diese für das gemeinsame Ziel auch zu nutzen. Wie kann dieser Ansatz mit der Gewinnung von Bewerbern zusammengebracht werden?
St.S.: Was uns emotional bedeutsam erscheint, ist anders in unserer Aufmerksamkeit. Daher sprechen wir Menschen ja so gern über Pleiten, Pech und Pannen und im Kontrast über tolle Urlaube, Sommerabende oder Kinobesuche.
So lange ich meine Bewerber aus dem anonymen Teil der noch Unternehmensfremden gewinne, muss ich mir als Unternehmen schon Gedanken machen, wie emotional meine Marke auftritt, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber bitte auch hier wieder Vorsicht vor dem zu glatten oder polierten Image walten lassen.
Konsequenter wäre es daran zu denken, wie ein Unternehmen als Marke seine Kreise zieht, in Interaktion mit Menschen und Institutionen ist. Ganz einfach formuliert: jeden Tag begegnet ein Unternehmen den Menschen, die darin agieren, Lieferanten und Partnern und selbstverständlich Kunden. Das sind alles potentielle Markenbotschafter auch in den Bewerbermarkt hinein. Erleben sie, wie identifiziert die Akteure einer Marke mit deren Zweck und Botschaften sind, nach welchen Prinzipien im Miteinander tatsächlich gehandelt (und das ist wichtiger als das, was auf Postern oder Webseiten gesprochen wird), werden Geschichten transportiert, die emotional positiv besetzt sind – dann erreicht dies möglicherweise auch genau die richtigen Bewerber. Nämlich die, die sich für den Kern einer Marke, für das wirkliche Grundverständnis eines Unternehmens begeistern. Das kann dann der Sohn eines Kunden sein, oder der Lieferant selbst will anheuern oder auf einer Party wird im Bekanntenkreis rekrutiert.
Lange Zeit galt in der Karriereberatung der Grundsatz, dass zwei Drittel der Stellen über Empfehlungen und Netzwerke statt über klassische Bewerbungswege entstehen. Das müsste heute manchem Unternehmen noch viel bewusster werden, es gilt nämlich noch immer.
KG: Gibt es abschließend einen „Pauschal“-Tipp, welchen Sie Unternehmern für die künftige Bewebergewinnung mitgeben können?
St.S.: Seid euch des Sinns von Unternehmertum bewusst: Menschen einen Nutzen bringen. Werdet euch den Sinns eures Tuns bewusst: Wozu tun wir das, was wir tun? Und nach welchem Selbstverständnis tun wir das?
Klingt banal. I. d. R. sind Unternehmensidentitäten aber leider nur scheinbar geklärt. Sie entstehen aus dem WAS statt aus dem WOZU. Das ist in Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen Unternehmen oder (Projekt-)Teams übrigens auch der Hauptfokus unserer Arbeit als Manufaktur: Wozu gibt es euch? Wie wollt ihr das zusammen angehen? Und welche Verantwortung trägt der Leader?
Auch am Bewerbermarkt geht es nicht darum, unbedingt einen USP haben zu müssen, sondern einen klaren kundenorientierten Unternehmenszweck transportieren zu können. Denn danach suchen Menschen auch im Berufsleben immer mehr: eine Tätigkeit, die unter Einsatz ihrer Potenziale einem sinnvollen Zweck dient, der sie erfüllt.
Also: weniger Arbeit an der Fassade und mehr Aufmerksamkeit auf die Substanz. Es ist wie in der Liebe: äußere Schönheit vergeht. Was am Ende immer zählt, sind die inneren Werte.